Seit den 1990er Jahren ist die rassistische und rechtsextrem motivierte Gewalt in Deutschland explodiert. Rostock-Lichtenhagen und Solingen, Halle und Hanau, der Terror des NSU stehen exemplarisch für diese gezielten Ermordungen, hasserfüllten Pogrome, Brandanschläge, die Angriffe auf Schwarze Deutsche, Menschen mit Migrationserfahrung, Jüdinnen und Juden, aber auch auf politisch Andersdenkende, Wohnungslose und Mädchen/Frauen. Mindestens 220 Todesopfer zählt die Amadeu-Antonio-Stiftung seit 1990 und spricht von 17 weiteren Verdachtsfällen.
Mit dem Bekanntwerden der Terrorgruppe NSU 2011 ist das Bewusstsein für diese Gewalt einerseits gestiegen, aber andererseits wird immer noch allzu oft übersehen, dass täglich Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe, ihrer Religionszugehörigkeit, ihrer Herkunft oder anderer identitärer Merkmale beschimpft, verletzt und ermordet werden.
Spätestens mit dem Aufkommen der AfD 2013 wurde deutlich, dass sich rassistisch und nationalistisch begründete Ressentiments und Gewalt nicht nur Phänomene extrem rechter Einzeltäter und Terrorist*innen am gesellschaftlichen Rand sind. Vielmehr wird der Hass immer lauter und offener von allen gesellschaftlichen Milieus geäußert. Nationalistisches, völkisch-autoritäres Gedankengut, Verschwörungsideologien und Menschenverachtung seitens extrem rechter Personen, aber auch seitens einer „verrohenden Bürgerlichkeit“ (Wilhelm Heitmeyer), gehören mittlerweile zu unserem Alltag.
Für die Auseinandersetzung mit dem aktuellen Rechtsextremismus stellen sich folgende Fragen:
- Sind extrem rechts orientierte Personen argumentativ noch erreichbar? Mit wem lohnt sich die politische Auseinandersetzung, wann lässt man es besser bleiben?
- Wie gehen wir mit rechten Aussagen und Parolen, völkisch-autoritären Verschwörungserzählungen, rassistischen Ressentiments in politischen Kontexten (am Wahlstand, im Rat, Parlament, aber auch am Stammtisch und im Familienkreis) um?
- Welche pädagogischen Angebote und/oder Bildungssettings erreichen extrem rechte Personen? Welche Rolle spielen dabei Aufklärung und Erinnerung an den NS und die Shoah?
- Wie sieht eine angemessene präventive Arbeit mit Jugendlichen aus?
- Sind Partizipation, Demokratie und Menschenrechte überhaupt Werte, für die rechts orientierte Menschen (noch) zu gewinnen sind?
- Welche Bedeutung kommt extrem rechten Diskursen und Verschwörungserzählungen zu und wie kann man ihnen adäquat begegnen?
Der Umgang mit Rechtsextremismus und die Prävention bedürfen nicht so sehr eines pädagogischen Repertoires aus dem Zauberhut, sie erfordern vielmehr ein klares demokratisches und menschenrechtsorientiertes Standing in Politik, Medien, Pädagogik und Bildungsarbeit.
Mehr:
Nils Wenzler, Anne Broden, Younes Alla (2019): Gesellschaftliche Bedrohung von Rechts. Analyse der Beratungsanfragen an die Mobilen Beratungen gegen Rechtsextremismus NRW, Düsseldorf, online abrufbar unter https://www.fgw-nrw.de/fileadmin/user_upload/FGW-Studie-RSD-04-Wenzler-2019_12_19-komplett-web.pdf
Zum Inhalt der Studie: Aus den aktuellen Beobachtungen eines wachsenden Rechtspopulismus und der Zunahme von rassistischen und demokratiefeindlichen sozialen Bewegungen in Deutschland entstand das Forschungsinteresse, nach den Folgen und Erscheinungsformen von Rechtsextremismus und Rassismus im Alltag der Menschen sowie nach dem Engagement für den Erhalt demokratischer Räume in der Gesellschaft zu fragen. Ausgewertet wurden hierfür 970 Beratungsanfragen an die Mobilen Beratungen gegen Rechtsextremismus NRW aus den Jahren 2012 bis 2018. Die Mobilen Beratungen gegen Rechtsextremismus engagieren sich für belastbare demokratische Strukturen. Die Expertise befasst sich im Kern mit der Frage: Wer wendet sich aus welchen Gründen mit welchen Erwartungen an die Beratungsstellen? Die Studie zeigt auf, wie die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus mit Anliegen und Bedarfen adressiert wird. Ihre Arbeit, so zeigt sich, bewegt sich zwischen der Notwendigkeit von Krisenintervention, dem Bedarf an Wissensvermittlung und dem Anspruch auf Strukturveränderung sowie dem Aufbau belastbarer demokratischer Strukturen.
Anne Broden (2012): Aspekte einer kritischen politischen (und sozialen) Bildungsarbeit mit rechtsextremen und -affinen Jugendlichen, in: IDA-NRW (Hg.): Überblick 2/2012, Düsseldorf, 9-16, online unter https://www.ida-nrw.de/fileadmin/user_upload/ueberblick/Ueberblick_2_12.pdf